Der Kreidesee in Hemmoor an der Elbe gilt als einer der wichtig­sten Tauchspots der Welt.

Scuba und Apnoe im Kreidesee Hemmoor

Abtauchen

Der Kreidesee in Hemmoor an der Elbe gilt als einer der wichtig­sten Tauchspots der Welt. Das glasklare Wasser lockt neben Tauchern mit Atemflaschen auch Apnoe-Freediver, die mit einem einzigen Atemzug in wenigen Minuten bis auf den Grund schweben. Weltrekordler Tolga Taskin, der selbst eine Apnoe-Tauchschule betreibt, liebt den Kick, im Kreidesee versunkene Wracks und Landschaften zu entdecken. Das Tauchen hier ist ein Traum, jedoch nicht ohne Gefahr, denn für Viele wurde der See schon zum Todessee.

Text: Undine Schaper

Er entspannt sich, atmet. Der Puls wird langsamer. Der Körper soll so wenig Sauerstoff wie möglich verbrauchen. Erst dann, gezwängt in Neopren, mit Kopfhaube, Handschuhen, Tauchmasken und Flossen versehen, gleitet der Froschmann in das eiskalte, klare Wasser des Kreidesees. Er holt tief Luft und taucht senkrecht nach unten ab. Zwei je sieben Kilogramm schwere Bleigürtel sorgen für das entsprechende Gewicht. Tolga Taskin heißt der leidenschaftliche Apnoe-Taucher, der den deutschen Rekord im Tieftauchen mit Flossen hält. Und der in diesem Winter 74,80 Meter unter einer geschlossenen Eisdecke ohne einen Atemzug tauchte und damit den bisherigen Apnoe-Guinness-Rekord um ganze fünf Meter knacken konnte. Der 30-jährige weiß also, was er tut. Und die Erfahrung gibt er in seiner Apnoe-Tauchschule an Neueinsteiger und Interessierte weiter. Tolga schafft es, bis zu sieben Minuten ohne einen einzigen Atemzug auszukommen. Schon vor dem Tauchgang, noch an Land, bereitet er sich mit Dehnübungen und Yoga vor. Im Wasser ist es dann wichtig, sich so wenig wie möglich zu bewegen, damit kaum Sauerstoff verbraucht wird. „Unter Wasser ist es wie in einem stillen Raum. Ich halte die Augen geschlossen und höre nur meinen Herzschlag“, beschreibt er das Gefühl, im Wasser nach unten zu schweben. „Apnoe ist die ursprünglichste Form des Tauchens“, ist er sich sicher. Denn schon in der Steinzeit jagten Menschen auf diese Art Fische oder sammelten Meeresfrüchte. „Spearfisher“ gehen noch heute auf diese Weise mit ihrer Harpune auf Jagd.

Abtauchen
Weltrekordler Tolga Taskin und Apnoetaucherin Lola Armbrust schwören auf Entspannungsübungen, bevor sie mit nur einem einzigen Atemzug viele Meter auf Tiefe gehen.
Der Kreidesee ist eiskalt und fast 

60 Meter tief. Bei den meisten Wet-terbedingungen ist er zudem glasklar und bietet mit einer Sicht von bis zu 25 Metern einen optimalen dreidimensionalen Tauchraum. Und zu sehen gibt es für Taucher viel, die hier gewöhnlich mit Flaschen tauchen und nicht die Augen schließen, wie bei den kurzen Tauchgängen der Apnoe-Enthusiasten, die einen extra Ponton in der Mitte des Sees nutzen. Die Attraktionen unter Wasser sind neben einer versunkenen Industrieanlage unter anderem Autowracks, gesun-kene Boote, ein eingebrachter LKW und ein Flugzeug, eine Piper PA-28, die ehemals dem Astronauten Alan Shepard gehörte. In dem klaren Wasser werden verschiedene Arten von Forellen und Lachse gezüchtet, die beobachtet und auch geangelt werden dürfen. Aber auch Natur--Spots, wie ein kleiner Wald am südwestlichen Seeufer und eine Steilwand am Nordufer, die bis zu 35 Meter Tiefe fast senkrecht abfällt, um dann bis auf 55 Meter schräg auszulaufen, garantieren spannende Tauchgänge. Von sechs Einstiegen werden die Tauchplätze erreicht. Der Einstieg 1 ist eine gerade von Anfängern gern genutzte Pflasterstraße, die sanft abfallend am Ponton von Einstieg 2 vorbei an einem Unterwasserwald zum Spektakulärsten, was der Kreidesee zu bieten hat, führt: In 32 Metern Tiefe steht der Rüttler. Das zwölf Meter hohe Betongebäude mit angrenzender Brücke und unterirdischen Gängen ist ein Relikt aus alten Tagen, als die Kreidegrube noch als Versorgungsquelle für die ansässige Portland-Zementfabrik diente.

Abtauchen
In Hemmoor, wo früher mit schwerem Gerät Kreide abgebaut wurde, kann man heute zwischen alten Industrieanlagen, versenkten Autos und überfluteten Wäldern tauchen. Bei Sichtweiten von bis zu 25 Metern sind hier zahlreiche Unterwasser-Attraktionen zu bestaunen.
Der Kreidesee in Hemmoor im Landkreis Cuxhaven gehört zu den Binnentauchspots der ersten Wahl. Grund dafür ist der hohe Kalkgehalt des Sees. Pflanzen wachsen kaum, acht Grad Wassertempe-ratur sind keine Seltenheit. In Kombination mit Tiefe macht ihn das zu einer echten Herausforderung für Taucher. Der See ist die Hinterlassenschaft von 117 Jahren Zementproduktion. Von 1862 bis 1976 wurde hier Kreide abgebaut, die in einer Zementfabrik direkt am heutigen See verarbeitet wurde. Nach Ende des Abbaus füllte sich die Grube mit klarem Wasser. Der ursprünglich 130 Meter tiefe See wurde auf 60 Meter verflacht, ist aber damit noch immer das dritttiefste Gewässer Norddeutschlands und umfasst etwa 33 Hektar. 

Und es zieht jährlich bis zu 35.000 Taucher, auch aus dem benachbarten Ausland, an. Rund um den See herum wurde eine perfekte Tauchinfrastruktur geschaffen: Europas größte und schnellste Füllanlage, bequeme Einstiege, teilweise auch für Rollstuhlfahrer, über 30 skandinavische Ferienhäuser, Ferienwohnungen sowie ein Campingplatz direkt am See. Für die Ausbildung von Tauchern gibt es im Wasser zwei Übungsplattformen, einmal in drei und dann in sechs Metern Tiefe. 

Abtauchen
„Apnoe“ bedeutet Atemstillstand. Die Ausnahmesportler tauchen ohne Sauer­stoff an einem Seil in die Tiefe. Dabei wird der Atemreflex unterdrückt. Der Sauerstoffverbrauch für die überlebenswichtigen Organe ist reduziert. Um die Lungenkapazität zu vergrößern, praktizieren Spitzentaucher außerdem spezielle Atem- und Yogaübungen.
Der Kreidesee kann aber auch gefährlich sein. Darum erfordert das Tauchen hier Disziplin und bestimmte Anforderungen an die Tauchmannschaft und ihre Ausrüstung. Wer die örtlichen Spielregeln des Tauchparadieses missachtet, wird mit einem Tauchverbot belegt. Denn, wer hier über seine Fähigkeiten hinausgeht, reiht sich möglicherweise in die Liste derer ein, für die der Kreidesee Hemmoor zum Verhängnis wurde. Erst im letzten September verunglückte hier ein 39-jähriger Belgier beim Tauchen in einer Gruppe. Und auch in der Vergangenheit wurde das glasklare Wasser des See für manchen Taucher zum Todessee.


Tauchbasis Kreidesee, Cuxhavener Str. 1, 21745 Hemmoor, 

Tel.: 04771/79 21, www.kreideseetaucher.de www.kreidesee.de


Tolgas Tauchschule für Apnoe-Neueinsteiger und Interessierte, 

Tel.: 0176 86 90 90 09, tolga.taskin@apnea-college.de, www.apnea-college.de

Fotos: Tolga Taskin, FlyFoto.pro, Mopo/Florian Quandt, pxhere.com




Dieses Artikel ist im Seaside Magazin 2020 erschienen.

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