Blaudruck – das Weltkulturerbe vor unserer Haustür
Immaterielles Unesco-Weltkulturerbe
Zurzeit sind 429 Formen des immateriellen Kulturerbes auf der repräsentativen UNESCO-Liste eingetragen. Kriterien für die Anerkennung sind unter anderem eine nachweisbare Lebendigkeit und eine identitätsstiftende Komponente für die Trägergemeinschaft der Kulturform. In die Liste haben es neben dem traditionellen koreanischen Wrestling auch das Herstellen von Kuhglocken in Portugal, das Kamel-Besänftigungsritual der Mongolen und die traditionelle Fertigkeit zum Bau und Segeln von iranischen Lenj-Booten im Persischen Golf geschafft. In Deutschland existieren nur noch zwölf Blaudruckwerkstätten, meist Familienunternehmen, die seit Generationen bestehen. In anderen europäischen Ländern führen 15 Betriebe die Handwerkstradition fort. Wegen des blau-weißen Musters nannte man das Verfahren im 18. Jahrhundert auch Porzellandruck. Reinhard Haase betreibt in Rostock die letzte Blaudruckwerkstatt in Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben ihn besucht.
Von der Sauerei zur Schönfärberei
Macht Blaudruck glücklich? Eine Frage, die zumindest gegenstandslos wird, wenn Meister Haase von seinem Handwerk schwärmt. „Freude!“, jubiliert der 73-jährige und wirft dabei tatsächlich die Arme in die Luft. Kein Witz! Aber auch kein Theater. Bei diesem Handwerksmeister ist die Freude absolut echt. Und das Glücklichsein lässt sich auch nachweisen: seine Ehe „hält“ seit 1966 und der Berufs-Standort seit 1974.
Text: Jo von Bahls
Rostock war einmal ein bedeutendes Mitglied der mittelalterlichen Hanse – davon zeugt auch die Architektur der Handwerkerhäuser in der Ost-Altstadt. Jenseits vom Jubel und Trubel der Hanse-Sail oder dem Kaufrausch vom Neuem Markt und der Kröpeliner Straße lässt sich diese erleben und viel Wunderbares entdecken. Die Straßen tragen Namen wie Wollenweberstraße oder Gerberbruch, denn hier haben die Handwerker ihre Zünfte gepflegt.
Ob das seit dem 17. Jahrhundert bekannte Blaudruck-Handwerk schon damals hier angesiedelt war, ist nicht sicher, die Adresse „An der Petri-Kirche“ passt aber wie keine andere. Denn in ihrem Schatten gelegen – ist wortwörtlich zu nehmen, duckt sich hier doch das alte Fachwerkhäuschen mit der Giebel-Aufschrift „Blaudruckwerkstatt“ in den selbigen. Allerdings lebt das Häuschen mit einem Alter von gerade einmal 130 Jahren im hiesigen Architekturensemble ein eher jugendliches Dasein.
Blaudruck-Meister Reinhard Haase dachte eigentlich, nach einem so langen Leben wirft ihn nichts mehr so schnell um. Trotzdem ist er noch immer aus dem Häuschen, wenn er seine Arme (wieder) in die Luft wirft und die Sätze voller Leidenschaft beinahe aus ihm herausbrechen: „Das war einfach der Hammer! Genau einen Tag vor meinem 73. Geburtstag riefen die an und gratulierten“. Mit „die“ sind die Mitarbeiter des UNESCO-Komitees zur Bewahrung des immateriellen Weltkulturerbes gemeint.
Grünspan, Gummibaumsaft, Bleisalz und Töpferton – das sind die Grundstoffe, die der Blaudrucker benötigt. „Mehr nicht, und das seit 1689“, betont der wirklich sehr rüstige Handwerker. Stolz auf die Zunft, erzählt Reinhard Haase mit beinahe schon missionarischem Eifer von der Tradition und Schönheit seines Berufes.
Enthusiastisch beschreibt er die Philosophie seiner Passion und verspricht: „Das Blaudrucker-Handwerk kann man in drei Tagen erlernen“. Am ersten Tag steht das Finden von Proportionen auf dem Lehrplan. Zu beherrschen ist dabei allerdings nicht nur das schnöde Verhältnis zwischen den stilistischen Elementen und wie sie auf den Stoff gezaubert werden. „Es geht um nicht weniger als das Verhältnis zwischen der Schönheit der Frauen und der Liebe des Mannes.“ Was genau damit gemeint ist, bleibt erst einmal Betriebsgeheimnis und damit Uneingeweihten verschlossen, dafür ist das Programm zum Tag Zwo zu erfahren: „Es werden die Fertigkeiten des handwerklichen Druckes und des wohldosierten Auftragens vom farbigen Papp auf die Models, eine Art großer Stempel, unterrichtet.“
Ob hier „der Weg von der Sauerei mit der schmierigen Paste zur Schönfärberei“ beginnt oder endet, wird auch erst und direkt im Lehrgang näher ausgeführt. Am dritten Tag soll dann schlussendlich gelernt werden, ein Model zu entwerfen, von dem später die Muster und Symbole auf das Tuch gedruckt werden. „Fertig ist der Blaudrucker“, sagt Haase und klatscht in die Hände. „Zumindest wenn der Azubi vorher fünf Jahre lang Formgestaltung studiert und ein Diplom erworben hat“, spöttelt der Meister und lacht. Der Spaß hat einen tatsächlichen Hintergrund: Haase besitzt Abschlüsse als Architekt und Diplomformgestalter. Seit 1976 sind Frau Christine und der Meister Haase neben dem Zentrum der Hansestadt Rostock ansässig. Hier werden die zuerst weißen Stoffe mit den Mustern bedruckt, um schließlich in Pulsnitz bei Dresden gefärbt zu werden. Diese Prozedur haben sie „sozusagen ausgesourct“. Für Kurse und Führungen durch die Werkstatt werden die Bottiche mit der blauen Flüssigkeit, die aus dem Saft der Indigo-Pflanzen besteht, allerdings „noch einmal angeworfen“.
Um die Muster auf die Stoffe zu bringen, werden die sogenannten Models benötigt. In dem Werkstattlager in der Rostocker Altstadt finden sich mehr als dreihundert dieser hölzernen Musterstöcke. „Mehr als die Hälfte habe ich selber hergestellt“, sagt der Meister. Um gleich danach zu betonen, dass hier auch noch einige sehr alte Muster von seinen Vorfahren stammen. „Die ältesten sind über 200 Jahre alt und sind eigentlich die schönsten“, schwärmt Haase, nicht ohne erkennbaren Stolz in der Stimme.
Der Blaudruck hat eine sehr lange Tradition: „Seit wann es dieses Verfahren eigentlich wirklich gibt, ist historisch nicht sicher“, erzählt sich Haase in Euphorie. „Man weiß nur, das dieses Handwerk über Indien nach England und dann nach Augsburg gekommen ist.“
„Gedruckt wird von Dienstag bis Samstag, sonntags geht es in die Kirche und am Montag wird gefärbt.“ Bekannt dürfte sein, dass daher auch der Begriff „Blaumachen“ stammt. „Ob das Blaue vom Himmel lügen oder Grün und Blau schlagen auch diese historischen Wurzeln hat?“, sind Fragen, die in der Werkstatt tatsächlich gestellt werden. Nicht hinterfragt wird hingegen die Schreibweise seines Familiennamens. Dieser Herr Haase schreibt sich tatsächlich mit Doppel A, denn „mit zwei As wird man zwar nicht schneller, aber man fühlt sich geadelt“. Die zwei kleinen Hasen bezeichnet der Meister konsequent als Werkstatt-Zeichen, nicht als Designer-Logo.
„Wie – nur Tischdecken?“, empört sich der Meister auf die Frage, was aus den Stoffen dann hergestellt wird. „Taschen, Kleider, Bezugsstoffe und noch viel mehr“, erzählt er. Als der Meister erfährt, dass immer öfter auch junge, internationale Mode-Designer auf den Blaudruck kommen, freut Reinhard Haase sich abermals. Einen Wunsch bewegt den Handwerksmeister – die Wahrung des immateriellen Weltkulturerbes in Rostock möge sich materialisieren und es fände sich ein Nachfolger. Eine Dotierung des Preises ist zwar „auch immateriell“, wie der Meister schmunzelnd wissen lässt, aber „an dem Preis hängt eine Förderung für die Ausbildungskosten für einen Lehrling“. Und genau das wird Herr Haase ab dem September 2020 auch verwenden. „Bewerber sind herzlich willkommen!“
Wer Reinhard Haase in seiner Werkstatt besuchen möchte, findet ihn:
Bei der Petrikirche 7, 18055 Rostock, Tel.: 0381/49 98 70,
Mo. bis Fr. von 10 Uhr bis 17 Uhr.
Fotos: Blue-Dyeing Museum at Pápa of the Museum Gróf Esterházy Károly, Gergő Gönczöl, ungarian Open Air Museum, Blaudruckwerkstatt Rostock
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